Vom Trauma zur Stärke: Wege nach der Gewalt

Daniela Hauser (Name von der Redaktion geändert) hilft Frauen, die aus gewalttätigen Beziehungen entkommen sind. In ihrer Selbsthilfegruppe berät sie die Betroffenen zu einem sicheren, selbstbestimmten und glücklichen Leben. SYMBOLFOTO: IMAGO

von: AAW

Wetterauer Zeitung / 02. April 2025

 

Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben, brauchen Hilfe. Doch oft hindert sie die Angst am Sprechen. Daniela Hauser (Name von der Redaktion geändert) unterstützt Frauen nach der Gewaltspirale.

Sandra ist 34 Jahre alt. Sie war jahrelang in einem Teufelskreis aus Angst und Gewalt gefangen. Ihr Partner - einst charmant und liebevoll - hatte sich schon nach wenigen Monaten des Zusammenlebens in einen Tyrannen verwandelt, der sie mit Schlägen, Drohungen und psychischer Manipulation terrorisierte. Nach einem besonders brutalen Vorfall, bei dem Sandra mit einem gebrochenen Kiefer im Krankenhaus landete, entschloss sie sich, den Rest ihres Selbstwertgefühls zusammenzukratzen und sich Hilfe zu suchen. Ihr Schicksal steht stellvertretend für viele Frauen, die im Fokus von Gewalt stehen und um ihr Recht auf ein sicheres, selbstbestimmtes und glückliches Leben kämpfen.

Frau Hauser, ist es für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, nach diesem Trauma überhaupt möglich, in ein glückliches Leben zu starten?

Ja, das ist möglich. Es gibt nämlich ein Leben »danach«. Und das Leben »danach« ist wundervoll.

Das Leben »danach« muss aber erst mal anfangen. Dabei wollen Sie helfen. Wer darf denn überhaupt eine solche Selbsthilfegruppe wie die ihre ins Leben rufen? Jeder doch sicherlich nicht…

Zunächst einmal muss man 18 Jahre alt sein, um eine solche Gruppe zu gründen. Darüber bin ich ja lange hinaus (lacht und wird sofort wieder ernst). Und: man muss von diesem Thema selbst betroffen sein.

Das heißt, dass Sie selbst häusliche Gewalt erlebt haben?

Ich hatte mehrere toxische Beziehungen. Gewalt hat viele Gesichter. Darauf möchte ich später noch eingehen. Aber weil Sie nach mir persönlich gefragt haben: In meinem Fall war es die psychische Gewalt. Als ich meinen Weg hinaus aus der Beziehung gefunden habe, hat sich vor zwei Jahren in mir das Bedürfnis gefestigt, andere Frauen zu unterstützen. Ihnen - nachdem sie sich aus einer akuten Gewaltsituation gelöst haben - die Möglichkeit zu geben, zusammen mit anderen in der Gruppe zu heilen und in ein besseres Leben zu starten. Wie ich vorhin sagte: Das Leben »danach« ist wundervoll. Ich spreche aus Erfahrung.

Also geht es um Hilfestellung im Leben »danach«. Das bedeutet, dass Frauen, die sich noch in der Gewaltbeziehung zu Hause befinden, nicht die sind, die in Ihre Selbsthilfegruppe kommen sollen?

Natürlich ist es nicht schön, Menschen in Krisensituationen - speziell die Menschen, die Gewalt ausgesetzt sind - abzuweisen. Aber das muss ich. Die Frauen, die sich noch in dieser akuten Situation befinden, brauchen oft - selbst wenn sie den festen Entschluss gefasst haben, abzuhauen, wegzugehen und ihre Siebensachen zu packen - fünf bis sieben Anläufe, um das auch wirklich durchzuziehen. Diese Frauen finden an anderer Stelle Rat und Unterstützung. In die noch vorherrschende, von Gewalt geprägte Lage im Zuhause darf ich auch gar nicht eingreifen. Ich bin für die Heilarbeit zuständig. Ich helfe bei der Heilung der Fundamente der Frauen. Darum habe ich die Selbsthilfegruppe auch »Fundament« genannt. Weil das Fundament ihres Lebens erschüttert wurde, Risse bekommen hat und manchmal vollends weggebrochen ist.

An wen sollen sich Frauen wenden , die sich noch in akuter Gewalt - und damit auch Gefahr - befinden?

In erster Linie ist natürlich die Polizei zu nennen. Die Betroffenen sollten nicht zögern, die 110 anzurufen. Es gibt Beratungsstellen und Frauenhäuser, die die Frauen, die sich noch in der akuten Gewaltsituation befinden, professionell unterstützen können (siehe Infokasten).

Sie haben vorhin von Menschen gesprochen, die Gewalt ausgesetzt sind. Es gibt also auch Männer, die sich melden, weil sie häusliche Gewalt erleben?

Ja, in der Tat. Knapp 20 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind Männer. Sie sehen, der Großteil besteht eben aus Frauen und nur um die geht es mir. Ich bin eine Frau, die das selbst erlebt hat, was die Frauen, die demnächst zu mir kommen, abschütteln wollen. Ich bin keine Dozentin oder was auch immer. Ich bin eine von ihnen. Wir sind eine Gemeinschaft in dieser Selbsthilfegruppe.

Wir sprechen also über die Frauen, die Schlimmes in ihrer Beziehung erlebt haben. Was bedeutet das? Gewalt hat ja ganz viele Gesichter.

Ja, eben. Die meisten Leute denken zunächst an Schläge, also an die körperliche Gewalt. Auch die hat natürlich verschieden schlimme Intensitäten. Das geht bei der Ohrfeige los, die schon schlimm genug ist, aber es wird auch getreten oder gewürgt. Viele Frauen werden von ihrem Partner zum Sex gezwungen. Und dann sind wir bei der psychischen Gewalt: Manche Männer machen ihre Partnerinnen schlecht oder sich über sie in der Öffentlichkeit lustig. Auch absolute Kontrolle ist keine Seltenheit oder den Frauen wird ihr Geld weggenommen und es wird ihnen verboten zu arbeiten, bis hin zum Einsperren der Partnerin.

Spielen die sozialen Medien auch eine Rolle?

Oh ja. Da sind wir wieder beim schlecht machen. Manchmal werden die Frauen erpresst, indem mit Wegnahme der Kinder gedroht wird. Es ist einfach, sich öffentlich über die Partnerin zu beschweren und zu behaupten, sie hätte weder Haushalt noch Familie im Griff und sei die »schlimmste Schlampe«. Es gibt ja genügend Kanäle, über die Männer psychische Gewalt ausüben können. Das Ganze geht manchmal über in irre viele Droh-SMS oder WhatsApp-Nachrichten - manchmal hunderte am Tag. Und auch Stalking ist ein Thema in Partnerschaften. Das Nachstellen und Belästigen der Frauen wird nicht nur von Fremden ausgeübt. Da ist ganz häufig der Partner der Stalker.

Jetzt versetzen wir uns mal in die Selbsthilfegruppe. Was können Sie dort vermitteln? Wie sieht ihre konkrete Hilfe aus?

Häusliche Gewalt ist ein Riesenthema mit nahezu unendlichen Gesichtern. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte. Deswegen habe ich mich an meinem Prozess orientiert, durch den ich durchgegangen bin. Da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, zu den eigenen Wurzeln zurückzugehen - beziehungsweise sich an diese zu erinnern, auch wenn es wehtut und manchmal kaum zu ertragen ist. Die Frage, die mich in meinem Heilungsprozess beschäftigt hat, war: »Was stimmt denn mit mir selber nicht, dass ich mich so behandeln habe lassen?« Das ist ein echter Knackpunkt, der total wichtig ist.

Das hört sich nach dem Motto an: »Ich bin doch selber Schuld«. Hadern damit nicht viele Frauen?

Nein, so ist das nicht gemeint. Es geht um Himmels Willen null Komma null um Schuld. Es geht nur darum, in mir zu forschen, ob ich vielleicht immer in dasselbe Muster verfalle. Manche Frauen kommen aus der einen gewalttätigen Beziehung hinaus und landen in der nächsten. Viele können nicht alleine sein. Sie suchen sich lieber einen Partner, der sie auch wieder so behandelt. Und das ist genau das Ding, an dem ich mit den Frauen arbeiten möchte: Da will ich ran, da will ich ansetzen. Ich möchte ihnen vermitteln, an sich selbst zu arbeiten, ihren Selbstwert zu erkennen und zu stärken. Viele wissen gar nicht, dass sie auch alleine glücklich sein können. Meine Devise ist: Ich brauche keinen Partner. Ich möchte einen Partner. Das ist ein großer Unterschied.

Sind dafür eineinhalb Stunden im Monat in der Selbsthilfegruppe ausreichend oder geben Sie den Frauen Werkzeuge an die Hand, mit denen sie arbeiten können? Gibt es eine Art Hausaufgabe?

Dass eineinhalb Stunden nur der Anfang sein können, ist natürlich klar. Ich habe weitere Frauen, die mich unterstützen, so dass den betroffenen Frauen viel mehr Zeit gewidmet werden kann. Außerdem ist das Netzwerken ganz wichtig. Das schieben wir richtig an, denn viele Betroffene denken, sie sind ganz alleine. Meine Position in dem Geflecht sehe ich darin, die Frauen innerhalb kurzer Zeit - und da reicht manchmal schon eine halbe Stunde - aus den rückwärtsgerichteten Gedanken hinaus zu holen und sie dann in einem entspannteren Zustand nach Hause zu entlassen.

Wie viele Anmeldungen haben Sie?

14 Frauen haben sich über die anonyme E-Mail-Adresse - die Sie ja auch dankenswerterweise im Kreis Anzeiger veröffentlich haben - gemeldet. Acht davon sind jetzt in der Gruppe. Die übrigen befinden sich noch in einer gewaltgeprägten Beziehung. Diese habe ich an Beratungsstellen vermittelt. Aber ich kann noch Frauen in meine Selbsthilfegruppe aufnehmen. Also meldet euch unter fundament.shg(ät)mail.de.

Haben Sie eine Botschaft, die Mut machen kann?

Das Leben ist zu kurz, um es in kranken Beziehungen zu verbringen. Jede Frau hat das Recht, glücklich zu sein.

Daniela Hauser rät, generell sofort die Polizei unter der 110 zu rufen. Der Wetteraukreis empfiehlt den »Frauennotruf Wetterau« in Nidda (Telefon: 0 60 43/44 71, Internet: www.frauennotruf-wetterau.de), »Pro Familia« in Friedberg (Telefon: 06 41/77 1 22, E-Mail-Adresse: friedberg(ät)profamilia.de), das »Frauenhaus Wetterau« (Telefon: 0 60 31/1 53 53, E-Mail-Adresse: info(ät)frauenhaus-wetterau.de) oder die Beratungs- und Interventionsstelle »Frauen helfen Frauen« (Telefon: 0 60 31/16 67 73). Des Weiteren sind der »Weiße Ring« als bundesweite Organisation, die Gewaltopfern hilft (Internet: www.weisser-ring.de) oder das »Hilfe Telefon« bei Gewalt gegen Frauen (Telefon: 08 00/0 11 60 16) gute Anlaufstellen. Dieses bietet in mehreren Sprachen kostenfreie Beratung rund um die Uhr.

Ein Zitat des Polizeipräsidiums Mittelhessen aus der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit lautet: Häusliche Gewalt stellt trotz leichtem Rückgang der Fallzahlen nach wie vor eine ernstzunehmende, gesellschaftliche Herausforderung dar. Sie umfasst körperliche, psychische und sexuelle Gewalt innerhalb partnerschaftlicher oder familiärer Beziehungen. Die Taten ereignen sich meist im privaten Umfeld und betreffen überwiegend Frauen. Im Jahr 2024 wurden 452 Fälle registriert, 2023 waren es 462. Das ist im Vergleich zwar ein leichter Rückgang bei häuslicher Gewalt. Zurückblickend auf die Jahre ab 2015 stiegen die Zahlen aber stetig an: von 252 gemeldeten Gewalttaten im Jahr 2015 bis zum Jahr 2021, in dem die Polizei von insgesamt 493 Taten im Wetteraukreis Kenntnis hat. VON ANDREA WEBER

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